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Blog Recht VI

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Richtig gewählt und abgestimmt – ein Leitfaden


VOM KORREKTEN UMGANG MIT QUOREN Damit Beschlüsse und Wahlen der Generalversammlung einer Genossenschaft rechtsgültig zustande kommen, muss immer mindestens die Mehrheit zustimmen. Für gewisse wichtige Beschlüsse ist sogar ein höheres Quorum erforderlich. In der Praxis bereitet die korrekte Ermittlung der notwendigen Mehrheit und damit die korrekte Beschlussfassung bisweilen Mühe. Nachfolgend ein kurzer Wahl- und Abstimmungsleitfaden für Genossenschaften.

Die Generalversammlung der Genossenschaft fasst ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen, soweit es das Gesetz oder die Statuten nicht anders bestimmen, mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 888 Abs. 1 OR). Die Auflösung der Genossenschaft, die Abänderung der Statuten sowie die Einführung oder Vermehrung der persönlichen Haftung oder der Nachschusspflicht der Genossenschafter erfordern gar eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen resp. drei Vierteln aller Stimmen (Art. 888 Abs. 2 und Art. 889 Abs. 1 OR). Die Statuten dürfen die gesetzlichen Quoren zusätzlich erschweren.[1] Explizit vorgesehen ist dies für die Auflösung der Genossenschaft und die Statutenänderung. Ob das allgemeine Quorum statutarisch auch erleichtert werden kann, ist umstritten.[2]

Wahlen und Beschlüsse, die in Verletzung gesetzlich zwingender Normen gefällt werden, sind grundsätzlich nichtig. Die Verletzung statutarischer Quoren führt in der Regel zur Anfechtbarkeit des Beschlusses oder der Wahl.[3]
 

Präsenzquoren (Beschlussfähigkeit)

Grundsätzlich ist die Generalversammlung ohne Rücksicht auf die Anzahl der anwesenden oder vertretenen Genossenschafter beschlussfähig. Die Statuten können aber ein sog. Präsenzquorum vorsehen und bestimmen, dass für die Beschlussfähigkeit eine Mindestanzahl Genossenschafter:innen anwesend sein muss. Für die Spezialform der Universalversammlung müssen von Gesetzes wegen zwingend alle Genossenschafter:innen anwesend sein (Art. 884 OR).

Wird ein statutarisches (oder im Fall der Universalversammlung das gesetzliche) Präsenzquorum nicht erreicht, ist die Generalversammlung nicht beschlussfähig.
 

Berechnungsbasis

Das Gesetz sieht bei der Genossenschaft als Berechnungsbasis grundsätzlich die Anzahl der abgegebenen Stimmen vor.[4] Die Berechnungsbasis kann also für jeden Beschluss oder jede Wahl eine andere sein. Da eine statutarische Erschwerung des gesetzlichen Quorums unbestrittenermassen zulässig ist, können die Stauten als Berechnungsbasis auch die Anzahl der anwesenden resp. vertretenen Stimmen festlegen. Die Hürde der notwendigen Zustimmung wird damit nämlich erhöht.
 

Bestimmung der erforderlichen Mehrheit

Um die erforderliche Mehrheit korrekt zu ermitteln, muss vorgängig die Berechnungsbasis geklärt werden. Dienen die abgegebenen Stimmen als Berechnungsbasis, werden nur Ja- und Neinstimmen gezählt, Enthaltungen und ungültige Stimmen sind ohne Belang. Bilden die anwesenden und vertretenen Stimmen die Basis, wirken sich Enthaltungen und ungültige Stimmen als Nein-Stimmen aus.

Die absolute (=einfache) Mehrheit der Stimmen ist erreicht, wenn mehr als die Hälfte der massgeblichen Stimmen zustimmt. Die Mehrheit ist dann erreicht, wenn bei einer geraden Anzahl massgeblicher Stimmen die Hälfte plus 1, bei einer ungeraden Anzahl massgeblicher Stimmen die aufs nächste Ganze aufgerundete Hälfte zustimmt. Eine qualifizierte Mehrheit erfordert eine Mindestzustimmung in der Höhe des geforderten Quorums.
 

Beschlüsse, die die erforderliche Mehrheit nicht aufweisen, sind nicht zustande gekommen.
 

Berechnungsbeispiel Genehmigung der Jahresrechnung

Rechtliche Ausgangslage: Die Genehmigung der Jahresrechnung gehört zu den unübertragbaren Befugnissen der Generalversammlung (Art. 879 Abs. 2 Ziff. 2bis OR) und erfordert die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 888 Abs. 1 OR).

Stimmen von 99 anwesenden Genossenschafter 50 ab (Ja- oder Nein-Stimmen) und enthalten sich 49 der Stimme, ist die Jahresrechnung mit der Zustimmung von 26 Stimmen genehmigt. Stimmen hingegen alle anwesenden Genossenschafter ab (Ja- oder Nein-Stimmen), ist für die Genehmigung der Jahresrechnung eine Zustimmung von 50 Stimmen erforderlich.

Legen die Statuten als Berechnungsbasis die anwesenden oder vertretenen Stimmen fest, ist für die Genehmigung der Jahresrechnung unabhängig von den effektiv abgegebenen Stimmen eine Zustimmung von 50 Stimmen erforderlich.
 

Berechnungsbeispiel Statutenänderung[5]

Rechtliche Ausgangslage: Die Änderung der Statuten gehört zu den unübertragbaren Befugnissen der Generalversammlung (Art. 879 Abs. 2 Ziff. 1 OR) und erfordert eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art. 888 Abs. 2 OR).

Stimmen von 99 anwesenden Genossenschafter 50 ab und enthalten sich 50 der Stimme, ist die Statutenänderung mit der Zustimmung von 34 Stimmen[6] angenommen. Stimmen hingegen alle anwesenden Genossenschafter ab, ist für die Annahme der Statutenänderung eine Zustimmung von 66 Stimmen[7] erforderlich.

Legen die Statuten als Berechnungsgrundlage die anwesenden oder vertretenen Stimmen fest, ist für die Annahme der Statutenänderung unabhängig von den effektiv abgegebenen Stimmen eine Zustimmung von 66 Stimmen erforderlich.
 

(Kein) Stichentscheid des Vorsitzenden

Es ist umstritten, ob die Statuten dem Vorsitzenden in Pattsituationen (Stimmengleichheit) den Stichentscheid einräumen können oder nicht. Die ablehnende Meinung sieht im Stichentscheid des Vorsitzenden eine Verletzung des Grundsatzes, dass jeder Genossenschafter eine Stimme hat (Art. 885 OR). Während das Aktienrecht diese Möglichkeit für die Aktiengesellschaft neu[8] explizit vorsieht[9], fehlt eine entsprechende Bestimmung im Genossenschaftsrecht.
 

5 Praxistipps für die Generalversammlung

  1.  Erstellen Sie ein „Drehbuch“ für die/den Vorsitzende:n und halten Sie für jedes Beschluss- oder Wahltraktandum fest, mit welchem Quorum der Beschluss oder die Wahl zustande kommen. Das Drehbuch hilft auch bei der korrekten Protokollierung.

  2. Prüfen Sie, ob Ihre Statuten für die Beschlussfähigkeit ein Präsenzquorum vorschreiben. Falls ja: Die Generalversammlung ist nur beschlussfähig, wenn dieses Quorum erreicht wird. Ohne statutarische Bestimmung ist die Generalversammlung beschlussfähig, sobald mindestens ein Genossenschafter teilnimmt.

  3. Stellen Sie fest, welche Berechnungsbasis für die Generalversammlung Ihrer Genossenschaft gilt (abgegebene oder anwesende Stimmen?). Ohne statutarische Bestimmung sind die abgegebenen Stimmen massgebend.

  4. Zählen Sie die Stimmen (gegebenenfalls die Enthaltungen). Der Beschluss ist zustande gekommen, wenn die erforderliche Mehrheit an Ja-Stimmen erreicht ist.

  5. Sorgen Sie dafür, dass die Beschlussfassung protokolliert wird (mindestens Ablehnung / Annahme, evtl. Stimmenverhältnis, evtl. Enthaltungen).



 

[1] Durch die Erschwerung des Quorums dürfen aber Eintritte (Art. 839 Abs. 2 OR) und Austritte (Art. 842 Abs. 3 OR) nicht übermässig erschwert werden.
[2] Hingegen darf das Quorum für die Auflösung der Genossenschaft und Statutenänderungen statutarisch nur erschwert werden (Art. 888 Abs. 2 OR).
[3] Das Anfechtungsrecht erlischt zwei Monate nach Beschlussfassung (Art. 891 Abs. 2 OR).
[4] Ausnahme: Beschlüsse über die Einführung oder Vermehrung der persönlichen Haftung oder der Nachschusspflicht der Genossenschafter erfordern die Zustimmung von drei Vierteln sämtlicher Genossenschafter (Art. 889 Abs. 1 OR).
[5] Hinweis: Seit dem 1. Januar 2023 müssen Statutenänderungen neu auch bei der Genossenschaft öffentlich beurkundet und ins Handelsregister eingetragen werden (Art. 838a OR).
[6] Zwei Drittel von 50 sind 33.33.
[7] Zwei Drittel von 99 sind 66.
[8] Seit 1. Januar 2023.
[9] Art. 703 Abs. 2 OR.

 

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